Einer der ältesten und geachtetsten religiösen Lehrer, die noch in Tibet übrigblieben, Gungthang Rinpoche, der Abt von Kloster Labrang Tashikyil in der Provinz Gansu (ehemals in dem nordöstlichen Amdo) starb am 29. Februar, einen Tag nachdem er aus dem Krankenhaus, wo er wegen einer Krebserkrankung behandelt wurde, in sein Kloster zurückgekehrt war. Gungthang Rinpoche, der Anfang siebzig war, war wegen seiner Weigerung, die chinesische Wahl des Panchen Lama anzuerkennen und seiner Loyalität dem Dalai Lama und den Grundsätzen des tibetischen Buddhismus äußerst populär unter den Tibetern. Weil er nicht mit den Chinesen nach deren Invasion Tibets in den 50er Jahren kooperieren wollte, verbrachte er über 20 Jahre im Gefängnis. "Sein Tod ist ein großer Verlust, der die religiöse und die politische Lage in Tibet beeinträchtigen wird", sagte Alag Tsaye Rinpoche, ein ehemaliger Sicherheitsminister der tibetischen Exilregierung und enger Freund des Rinpoche seit über 50 Jahren. "Gungthang Rinpoche war ein großer Buddhistischer Gelehrter und aufrichtiger Patriot, der immer die Interessen des tibetischen Volkes im Herzen trug", fügte er hinzu.
Gungthang Rinpoche, der im Februar 1926 in Dzoge, TAP (Tibetisch Autonome Präfektur) Ngaba (chinesisch: Aba) in Sichuan geboren wurde, war der zweithöchste Lama in Labrang Tashikyil, einem der wichtigsten Klöster in der traditionellen tibetischen Provinz Amdo. In den letzten Jahren war er nur noch sporadisch in seinem Kloster zwischen seinen Krankenhausaufenthalten zur Krebstherapie in Lanzhou, der Hauptstadt der Provinz Gansu, und in Peking. Inoffiziellen Quellen zufolge ließen die Behörden nicht zu, daß er im Ausland eine Spezialbehandlung suchte.
Gungthang Rinpoche, der als die 6. Inkarnation von Konchog Tenpai Dronmey (1762-1823) erkannt wurde, genoss große Achtung wegen seiner Hingabe an den Dalai Lama, seinem Engagement für die Sache der Erziehung in Tibet (eine tiefe Sorge, die er mit dem ebenfalls aus Amdo stammenden 10. Panchen Lama teilte), seiner religiösen Gelehrsamkeit und seiner Weigerung, die chinesische Wahl der Panchen Lama zu akzeptieren. Er begleitete auch öffentliche Ämter als ein ständiges Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes und als Vizepräsident der Buddhistischen Vereinigung Chinas, aber wenige Monate nach dem Tod des 10. Panchen Lama im Januar 1989 wurde nach einem Treffen in Peking klar, wo seine wahre Loyalität lag. Alag Tsaye Rinpoche, der im Exil in Indien lebt, zufolge hielt Gungthang Rinpoche bei diesem Treffen hoher Lamas in Peking eine heftige Rede: "Gungthang Rinpoche sagte, er hoffe, daß der Dalai Lama die neue Inkarnation des Panchen Lama getreu der historischen Gepflogenheit des tibetischen Volkes anerkennen wird. Er fügte hinzu, daß das tibetische Volk eine andere Inkarnation nicht anerkennen würde. Er hoffe auch, daß es keine zwei Inkarnationen des Panchen Lama geben würde. Nach dieser Rede änderten die Chinesen ihre Einstellung ihm gegenüber."
Alag Tsaye Rinpoche, der zu gleicher Zeit wie Gungthang Rinpoche Ende der 50er Jahre eingesperrt war und 1987 aus Tibet entkam, sagte, daß der Rinpoche wegen seiner vorausschauenden Kommentare von den Chinesen bestraft worden sei. "Gungthang Rinpoche wurde eine Zeitlang in einem Hotel in Peking festgehalten, ohne daß er Besucher empfangen durfte. Dann wurde er in sein Kloster nach Lanzhou zurückgebracht, aber auch dort wurden die Besuche bei ihm eingeschränkt.
Gungthang Rinpoche verweigerte die Unterstützung der Regierungskampagne zur Diskreditierung des Dalai Lama, nachdem dieser im Mai 1995 Gendun Choekyi Nyima als Panchen Lama anerkannt hatte. Der Rinpoche weigerte sich ebenfalls, den im November 1995 von den Chinesen erkorenen Knaben Gyaltsen Norbu, der jetzt 9 Jahre alt ist, zu akzeptieren. Daraufhin geriet er unter heftigen Druck der Obrigkeit, weil das Labrang Kloster in Gansu nämlich eines der zwei Hauptklöster ist, die abgesehen von dem traditionellen Sitz des Panchen Lama in Shigatse mit ihm in Verbindung stehen. Das Kloster Kumbum in Qinghai gilt als das zweite Stammkloster des Panchen Lama. Der Abt von Kumbum, Agya Rinpoche, setzte sich 1998 in die USA ab und erhielt dort kürzlich politisches Asyl.
Der höchste Lama von Labrang Tashikyil, der 52-jährige Jamyang Zhepa, die 6. Inkarnation des Gründerlamas von Labrang (1709), wurde 1998 gegen seinen Willen gezwungen nach China zu gehen, um als Lehrer für Gyaltsen Norbu zu fungieren.